Der Spiegel - Griechenlands Pleitekarriere lässt sich nicht überbieten? Doch - von Deutschland | ||||
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Griechenlands Pleitekarriere lässt sich nicht überbieten? Doch - von Deutschland, sagt der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl im Interview. Er warnt: Die Bundesrepublik muss sich in der Euro-Krise zügeln, sonst könnte sich die Stimmung gegen das Land drehen. SPIEGEL ONLINE: Herr Ritschl, Deutschland tritt in der Debatte über weitere finanzielle Hilfen für Griechenland wie ein Besserwisser auf. Die Bundesregierung handelt mit ihrer Unnachgiebigkeit nach dem Motto "Geld für euch gibt es nur, wenn ihr das macht, was wir verlangen." Ist diese Haltung gerechtfertigt? Ritschl: Nein, dafür gibt es keine Grundlage. SPIEGEL ONLINE: Das dürften die meisten Deutschen anders sehen. Ritschl: Das mag sein, aber Deutschland hat im 20. Jahrhundert die wohl größten Staatspleiten der jüngeren Geschichte hingelegt. Ihre heutige finanzielle Stabilität und ihren Status als Oberlehrer Europas verdankt die Bundesrepublik allein den USA, die sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg auf sehr viel Geld verzichtet haben. Das wird leider immer wieder vergessen. SPIEGEL ONLINE: Was genau ist damals passiert? Ritschl: Die Weimarer Republik hat von 1924 bis 1929 auf Pump gelebt und sich das Geld für ihre Reparationsleistungen des Ersten Weltkriegs von Amerika geborgt. Diese Kreditpyramide krachte in der Wirtschaftskrise 1931 zusammen. Das Geld war weg, der Schaden für die USA gigantisch, der Effekt auf die Weltwirtschaft verheerend. SPIEGEL ONLINE: Ähnlich war es nach dem Zweiten Weltkrieg. Ritschl: Da hat Amerika gleich dafür gesorgt, dass nicht wieder hohe Reparationsansprüche an Deutschland gestellt wurden. Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle solchen Forderungen auf die lange Bank geschoben, bis zu einer künftigen Wiedervereinigung. Für Deutschland ist das lebenswichtig gewesen, es war die eigentliche finanzielle Grundlage für das Wirtschaftswunder. Zugleich mussten aber die Opfer der deutschen Besetzung in Europa verzichten, darunter auch die Griechen. SPIEGEL ONLINE: In der jetzigen Krise sollte Griechenland zunächst 110 Milliarden Euro von den Euro-Staaten und dem Internationalen Währungsfonds bekommen. Jetzt soll ein weiteres Rettungspaket verabschiedet werden, das ähnliche Dimensionen haben dürfte. Es geht also um sehr viel Geld. Wie groß waren denn die deutschen Staatspleiten? Ritschl: Gemessen jeweils an der Wirtschaftsleistung der USA war allein der deutsche Schuldenausfall in den dreißiger Jahren so bedeutsam wie die Kosten der Finanzkrise von 2008. Im Vergleich dazu ist das griechische Zahlungsproblem eigentlich unbedeutend. SPIEGEL ONLINE: Mal angenommen, es gäbe ein globales Ranking der Pleitekönige. Auf welchem Platz würde Deutschland landen? Ritschl: Deutschland ist Schuldenkaiser: Nach der Schadenshöhe im Vergleich zur Wirtschaftsleistung gerechnet ist Deutschland der größte Schuldensünder des 20. Jahrhunderts - wenn nicht überhaupt der jüngeren Finanzgeschichte. SPIEGEL ONLINE: Selbst Griechenland kann nicht mit uns mithalten? Ritschl: Nein, das Land spielt an sich eine nebensächliche Rolle. Nur die Ansteckungsgefahren auf andere Euro-Länder sind das Problem. SPIEGEL ONLINE: Die Bundesrepublik gilt als Inbegriff der Stabilität. Wie oft war Deutschland denn insgesamt pleite? Ritschl: Das kommt darauf an, wie man rechnet. Allein im vergangenen Jahrhundert mindestens drei Mal. Nach dem ersten Zahlungsausfall in den dreißiger Jahren wurde der Bundesrepublik 1953 von den USA ein Schuldenschnitt - im Englischen "Haircut" - verpasst, der das Schuldenproblem von einem voluminösen Afro-Look auf eine Vollglatze reduzierte. Seitdem stand Deutschland glänzend da, während sich die anderen Europäer mit den Lasten des Weltkriegs und den Folgen der der deutschen Besetzung abrackerten. Und selbst 1990 kam es noch zu einem Schuldenausfall. SPIEGEL ONLINE: Wie bitte? Ritschl: Ja, der damalige Kanzler Helmut Kohl weigerte sich damals, das Londoner Abkommen von 1953 umzusetzen. Darin war festgeschrieben, dass die deutschen Reparationszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg im Falle einer Wiedervereinigung neu geregelt werden. Man hat nur die Bedienung kleiner Restbeträge abgewickelt. Dabei ging es aber um minimale Summen. Reparationen hat Deutschland nach 1990 nicht gezahlt - von den Zwangsarbeiterentschädigungen mal abgesehen - und auch die im Zweiten Weltkrieg aus den besetzten Ländern herausgepressten Kredite und Besatzungskosten nicht getilgt. Auch gegenüber Griechenland nicht. SPIEGEL ONLINE: Anders als 1953 in Deutschland geht es bei der aktuellen Diskussion über die Rettung Griechenlands ja weniger um einen "Haircut" als vielmehr um eine Verlängerung der Laufzeiten der Staatsanleihen, also eine "weiche Umschuldung". Kann man dann überhaupt von einer drohenden Pleite sprechen? Ritschl: Auf jeden Fall. Selbst wenn ein Land nicht zu hundert Prozent blank ist, kann es pleite sein. Genau wie in den fünfziger Jahren im Falle Deutschlands ist es illusorisch zu glauben, die Griechen könnten ihre Schulden jemals alleine abtragen. Und wer das nicht schafft, ist eben pleite. Nun muss festgelegt werden, wie hoch die Ausfallquote der Staatsanleihen ist, auf wie viel Geld die Gläubiger des Landes also verzichten müssen. Es geht dabei vor allem darum, den Zahlmeister zu finden. SPIEGEL ONLINE: Der größte Zahlmeister dürfte Deutschland sein. Ritschl: Darauf läuft es wohl hinaus, aber wir waren auch reichlich sorglos - und unsere Exportindustrie hat von den Aufträgen gut gelebt. Die Anti-Griechenland-Stimmung, die in vielen deutschen Medien verbreitet wird, ist hochgefährlich. Und wir sitzen im Glashaus: Nur durch den weitgehenden Schulden- und Reparationsverzicht seiner Kriegsopfer aus dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschlands Wiederaufstieg möglich geworden. SPIEGEL ONLINE: Deutschland sollte sich also mehr zurückhalten? Ritschl: Deutschland hat im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege begonnen, den zweiten davon als Vernichtungs- und Ausrottungskrieg geführt - und anschließend haben die Feinde die Reparationszahlungen ganz oder in beträchtlichem Umfang erlassen. Dass die Bundesrepublik ihre wirtschaftliche Blüte der Gnade anderer Völker verdankt, hat auch in Griechenland niemand vergessen. SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das? Ritschl: Die Griechen kennen die feindlichen Artikel aus deutschen Medien sehr gut. Wenn die Stimmung im Land umschlägt, alte Forderungen nach Reparationszahlungen laut und auch von anderen europäischen Staaten erhoben werden und Deutschland diese je einlösen muss, werden wir alle bis aufs Hemd ausgezogen. Da könnten wir im Vergleich dankbar sein, Griechenland auf unsere Kosten luxuszusanieren. Wenn wir hier der Stimmungsmache folgen und den dicken Emil geben, der die Zigarre pafft und nicht zahlen will, dann werden irgendwann die alten Rechnungen wieder präsentiert. SPIEGEL ONLINE: Wenigstens zum Schluss noch ein paar versöhnliche Töne: Wenn Sie eine Lehre aus der Geschichte ziehen, welche Lösung wäre derzeit die beste für Griechenland - und Deutschland? Ritschl: Die Pleiten Deutschlands im vergangenen Jahrhundert zeigen: Das Vernünftigste ist, jetzt einen echten Schuldenschnitt zu machen. Wer Griechenland Geld geliehen hat, müsste dann auf einen beträchtlichen Teil seiner Forderungen verzichten. Das würden einige Banken nicht verkraften, also müsste es neue Hilfsprogramme geben. Für Deutschland könnte das teuer werden, aber zahlen müssen wir so oder so. Und immerhin hätte Griechenland dann die Chance auf einen Neuanfang. Quelle: Spiegel Online |